Description
Dass der Unaufgeklärte nicht individuell ist, sondern vielmehr Klischees lebt und die meiste Zeit über irgendwelche Rollen spielt, das habe ich bei früherer Gelegenheit schon ausgeführt. Aber nicht nur im alltagssprachlichen Sinne hat man dies zu verstehen, sondern ganz wörtlich: Der unaufgeklärte Mensch ist kein Individuum, d. h. kein Unteilbares, sondern eher ein Divdiuum, ein Teilbares, ja richtiger noch, ein Divisum, ein Geteiltes. Die Bemerkung mag trivial erscheinen, dass selbst denken nur kann, wer ein Selbst auch hat, sie ist aber für die Aufklärung von großer Bedeutung, denn die Menschen mögen zwar meinen, nur weil sie „Ich“ sagen können, hätten sie auch wirklich ein Ich, die Wahrheit ist aber, dass sie eine Vielzahl von Ichen in ihrer Brust tragen: Von Augenblick zu Augenblick, je nach dem Affekt, der gerade herrschend, nach der Rolle, die gerade gefragt, dem Begehren, das gerade im Vordergrund ist, wechseln die verschiedenen Iche einander ab. Ein Selbstdenken ist einem Menschen in dieser Lage gar nicht möglich, denn wenn er im einen Moment etwas denkt, muss im nächsten Moment schon ein anderes Ich etwas Anderes denken, das dem Vorigen nur allzu oft widersprechen wird. Bei der Aufklärung geht es daher darum, die verschiedenen Anteile des eigenen Wesens zu einem einzigen mit sich selbst einigen Ich zu vereinen.
Soll ich selbst denken, brauche ich dafür Ein Ich: 0:08
Der unaufgeklärte Mensch ist nicht Einer, sondern Legion: 2:35
Oft spielen Menschen ihre verschiedenen Iche gegeneinander aus: 11:11
Was die Menschen zu ihrem Ich, was zum Nicht-Ich rechnen, das wechselt oft je nach Situation: 27:49
- Oft nutzen Menschen es aus, bestimmte ihrer Handlungen, statt sich selbst, dem Nicht-Ich anlasten zu können: 38:39
Vielfach gibt es eine Kluft zwischen den Meinungen der Menschen und ihrem Tun: 53:10
- Es gibt einen Unterschied zwischen bloßem Kennen und echtem Begreifen und Durchdringen einer Sache, der in der Philosophie sehr deutlich wird: 57:13
- Was immer die Ideologie oder der Glaube eines Menschen ist: sie gleichen sich meist darin, wie wenig diese Meinungen für ihr Handeln bedeuten: 1:02:14
- Der heroische Charakter meint, all sein Tun wäre notwendig gut, da er ja selber gut wäre, und wähnt sich daher über Regeln und Kontrollen erhaben: 1:07:40
- Die Meinungen und Glaubenssätze der Menschen liegen oft nur oberflächlich auf, bedeuten aber wenig für ihren tatsächlichen Lebensvollzug: 1:09:26
- Aufklärung soll den Menschen transformieren, sie geht zuerst auf seine Haltung, über welche sie seine Meinungen wandelt, während das Umgekehrte kaum Erfolg verspricht: 1:20:30
Ein festes, einiges Ich kann nur haben, wer klare Prinzipien hat: 1:27:25
Ich sage in diesem Vortrag, dass das depressive Wegwerfen seiner Selbst nur ein versteckter Narzissmus ist. Dieser Narzissmus, kann ich anfügen, ist Grundlage der Depression: Der Narzisst, darin unterscheidet er sich vom bloß Eitlen, hat kein Du, er ist nur mit sich selbst beschäftigt - Narziss verliebte sich schließlich in sein eigenes Spiegelbild. An eben diesem Fehlen eines Du leidet nun der Depressive: Es ist ihm - gerade das macht seine Depression aus -, als wäre er wie durch eine Mauer von der Welt abgesondert, wobei er diese Mauer selbst errichtet hat. Auch aus seinem eigenen Ich kann ihm keine Freude erwachsen, es muss verkümmert oder vielmehr unentwickelt sein, denn ein Ich kann sich, wie die Wissenschaftslehre beschreibt, nur in dem Maße entwickeln, wie es mit einem Du in Kontakt tritt.