“Hallo! Zum Verständnis: Ich bin Jahrgang 1952 und stamme aus einer in der NS-Zeit wenig vorbelasteten Familie mit zahlreichen Auslandsbeziehungen, die teilweise in die 40er Jahre (internationale Studententreffen meiner Eltern in UK, USA) zurückreichen. Ich studierte später in Bonn Geschichte und bin bestimmt kein Apologet der Nazidiktatur, mit der ich mich seit meiner Jugend intensiv auseinandergesetzt habe. Ich glaube auch nicht, das Historiografie grundsätzlich keine Wertungen enthalten darf, sondern halte dafür, dass der Berichterstatter lediglich seine Perspektive klar machen sollte. Dies vorausgeschickt halte ich ihren Beitrag für unangenehm moralisierend, was die Wurzeln von VW in der NS-Zeit angeht. Es ist korrekt und legitim, auf Hitlers Motive für den KdF-Wagen, auf die Produktionsumstellung auf Rüstungsgüter und die Bedeutung der Zwangsarbeit bei VW in den Kriegsjahren hinzuweisen. Sicher stimmt auch, dass die Verantwortlichen im Konzern diese Tatsachen in der Wirtschaftswunderzeit herunterzuspielen oder gar zu vertuschen suchten und erst spät und zaghaft mit der Aufarbeitung begannen. ABER: Es ist unerträglich pharisäerhaft, von jedem Zeugen der Erfolgsgeschichte von VW einen „Mea Culpa“-Nachsatz nach dem Motto zu verlangen, „übrigens hat VW während seiner Gründungsjahre viel Schuld auf sich geladen“. Diese moralinsaure Pose ist mir schon bei mehreren Podcast-Folgen aufgestoßen und diskreditiert in meinen Augen inzwischen die ganze Reihe im Vergleich mit anderen seriösen Geschichts-Podcasts. Man kann es mit der politischen Korrektheit und dem Oberlehrer-Getue auch übertreiben. Solcherart wird die „Zeit“ wieder ihrem Gouvernanten-Image gerecht. Bei jeder wertenden Aussage über Untaten der Vergangenheit sollten sich Berichterstatter ganz ehrlich fragen: Wie würde ICH mich in einer totalitär organisierten Gesellschaft verhalten, sei es NS-Zeit, DDR, oder heute Rußland und China? Wie würde ich, wenn ich in mich hineinhorche, konkret entscheiden, wenn Regimevertreter Druck ausüben, Junktims für berufliches oder unternehmerisches Fortkommen postulieren? Und wenn ethisch und menschlich lobenswertes Verhalten für mich unweigerlich negative Konsequenzen hätte? Nicht nur Erich Kästner, Gustav Gründgens und Heinz Rühmann steckten während der Hitler-Diktatur in einem dauernden Gewissenskonflikt. Auch alle verantwortungsbewussten Unternehmer, die im Gegensatz zur gern von besserwissenden Nachgeborenen verbreiteten Legende nicht nur vom Streben nach Gewinnmaximierung getrieben wurden, sondern in vielen Fällen auch Verantwortung gegenüber ihrer Belegschaft empfanden. Diese konnte man z.B. anfangs noch recht gut schützen, wenn man sich als „kriegswichtiger Betrieb“ klassifizieren ließ. Das führte dann automatisch ab etwa 1941 zur Zuweisung von Zwangsarbeitern: zivilen „Ostarbeitern“ aus Polen und Rußland, Franzosen, Italienern, Belgiern, und natürlich Kriegsgefangenen zahlreicher Nationalitäten und sonstige Internierten. Zwangsarbeiter wurden auch nicht „per se“ schlecht behandelt, trotz Himmlers Ostarbeiter-Erlassen, beispielsweise in Landwirtschaft und Haushalten wurden sie manchmal ordentlich untergebracht und verköstigt, wenn auch sicher nicht die meisten der in der Industrie eingesetzten Zwangsarbeiter. Und die 6,5 Millionen Zwangsarbeiter aus Rußland und Polen standen zweifellos ganz am Ende der Ansehens-Skala in der deutschen Bevölkerung. Wegen des gigantischen Ausmaßes der Zwangsarbeit im Hitler-Reich von 20-25 Millionen Frauen, Männern und Kindern wurde die bis dahin in Konflikten seit der Antike gängige Praxis von Verschleppung, Vertreibung und Zwangsarbeit/Versklavung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auch international geächtet. Was Putin nicht abhält, Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung in der Ukraine verdeckt weiter zu praktizieren. Also bitte: Die Fakten sind erschütternd und sprechen für sich. Da braucht es nicht bei jedem zweiten Moderatorensatz auch noch den erhobenen Zeigefinger für die Doofen. Ihre nächsten Folgen entscheiden darüber, ob ich mein Abo von „Wie war das nochmal?“ kündige. Mit freundlichen Grüßen Martin Schulze-Röbbecke Haßfurt, Bayern”
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08/29/23