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14.1. Die moderne Hirnforschung liefert nicht nur anatomische Schnitte, sondern auch elektroenzephalographisch und anderswie gemessene Daten zu neuronalen Aktivitäten im Gehirn. Demzufolge lassen sich schlaftypische neuronale Aktivitätsmuster ausmachen – und auch ein typisches Datenbild dem Traumschlaf zuordnen. Freilich decken solche typischen Messbilder weder die ebenfalls häufigen „untypischen“ Fälle, noch besagen sie viel über die Traumerfahrung selbst, die man eben nicht messen kann...
Published 08/20/06
13.2. Das philosophische Problem bleibt also bestehen: Wie ist die Differenz des Traumes dimensional faßbar? Und aufgrund welcher Voraussetzungen ist der Traum als Traum kommunizierbar? „In die gemeinsame Welt gelangt der Traum immer nur durch seine Ersetzung.“ (Matthias Fischer) Sei es ersetzt durch Texte, durch die Inszenierung auf der Bühne oder eben: durch Bilder – welche, betrachten wir es historisch, zu ihrer jeweiligen Zeit in vielem durchaus ähnliche Bewegungen unternehmen wie die...
Published 07/22/06
12.1. Neben der gesellschaftskritischen Verallgemeinerung der Psychoanalyse gibt es eine zweite, eine eher erkenntnistheoretische und wissenschaftskritische Richtung einer Infragestellung der Psychoanalyse. Sie betrifft nicht die Deutung des manifesten Traums und die Frage, wie man den unbewußten Strukturen unterhalb eines Traumbildes wohl tatsächlich gerecht wird. Sie betrifft vielmehr den Status des manifesten Traumbildes selbst. Mit was für einem Objekt arbeitet die Psychoanalyse...
Published 07/21/06
11.1. Unterscheidet man zwei Pfade oder Richtungen der Traumtheorie nach Freud, so kann man die erste dieser beiden Richtungen (um die es in der heutigen Vorlesung ging) charakterisieren als (1) eine gesellschaftstheoretische Kritik an Freud und (2) den Versuch einer gesellschaftskritischen, einer historisch-polischen Überschreitung der Freudschen Psychoanalyse. Zu nennen sind (neben Jacques Lacan) Autoren wie Karen Horney, Herbert Marcuse, Ernst Bloch, Wilhelm Reich und andere. Die...
Published 07/20/06
10.1. In seinem frühen Werk Die Traumdeutung plaziert Freud das manifeste Traumbild wie eine Art Schwellenphänomen zwischen einerseits die Realität des archaischen, im Zweifel krankmachenden Begehrens (die Realität des Unbewußten im Modell des psychischen Apparats) und andererseits die Realität der Erfordernisse der Außenwelt (im Modell des psychischen Apparats: die Realität der vorbewußten Zensur). Der manifeste Traum schwebt vor seiner Deutung wie vermittelnd zwischen beiden...
Published 07/19/06
9.1. Der Traum ist Wunscherfüllung – diese Grundformel läßt sich mit Freud noch konkreter explizieren. Das Traummaterial besteht aus erinnerten Tagesresten, diese Tagesreste bilden den manifesten Trauminhalt. An diesen manifesten Elementen des Traums hängt aber weitere, verborgene Vergangenheit. Bestimmte latente Wünsche und – wie Freud es nennt – „Traumgedanken“. Diese lassen sich mithilfe des Assoziationsverfahrens Stück für Stück entziffern. 9.2. Zum Verständnis der Traumgedanken...
Published 07/13/06
8.1. In Freuds Traumdeutung wird das Phänomen Traum in einem ersten Anlauf bestimmt als Erinnern, als „Reproduktion von Erlebtem“, wobei diese Reproduktion, die Traumkonstruktion, nicht strikt zufällig erfolgt, sondern ihren eigenen, verborgenen Regeln gehorcht. 8.2. Sofern der Traum aus der Fülle des Materials der erlebten Eindrücke eine Auswahl trifft, muß man ihn als einen psychischen Akt betrachten. Dieser Akt hat seinen vollwertigen Platz in einer „Kette“ der anderen Handlungen des...
Published 07/05/06
7.1. Drei Grundzüge des romantischen Denkens bleiben als feste Bestandteile des naturwissenschaftlichen Denkens durch das ganze 19. Jahrhundert erhalten: Das romantische Wissenschaftsverständnis hat erstens einen holistischen Zug: Es denkt die überhaupt nur möglichen und die wirklichen Aspekte der Welt als einen einziges prozeßförmig-bewegtes Kontinuum zusammen. Es verlegt zweitens sein Erkenntnisinteresse auf Latenzphänomene – Phänomene unterhalb dessen, was „positiv“ meßbar oder...
Published 06/28/06
6.1. Die Funktionen des Traumes in der schönen Literatur korrespondieren durchaus mit den philosophischen Traumtheorien der jeweiligen Epoche. 6.2. Die klassische Literatur spätestens seit der Aufklärung und jedenfalls danach variiert des Thema Traum vielfältig und bunt. Der Traum hat eine problematisierende Funktion: Er zielt gegen einfache, eindeutige Wahrheits- und auch Wirklichkeitsvorstellungen. Der Traum kann verwirren, fehlleiten, hilfreich sein oder Wahrheiten künden – und...
Published 06/21/06
Romantisierungen 5.1. In der romantischen Philosophie – die sich der Philosophie Kants entgegenstellt, gegen alle Systemzwänge rebelliert und stattdessen „dichterisch“ sein will und „poetisch“ schreiben – gewinnen die Nacht, der Schlaf und namentlich der Traum an Bedeutung. Das Träumen wird zum Urbild der freien, von der Wirklichkeit losgebundenen Schöpfung: einer Schöpfung, die bewußt „irrationale“ Extreme (Begeisterung, Liebesleidenschaft, Wahn und Tod) nicht fürchtet. 5.2. Neben...
Published 06/15/06
Vorlesung 4 am 17. November: „Der Schlaf der Vernunft gebiert...?“ 4.1. Bei Immanuel Kant finden sich zwischen 1766 und 1798 mehrfach Aussagen, aus denen sich eine Art Anthropologie (und Vernunftpragmatik) des Traums ergibt: In physiologischer Hinsicht greift Kant in vielem die aristotelische Sicht der Dinge wieder auf: Nachts von Wahrnehmungen unbehelligt, spielt in der Seele die Einbildungskraft „wild“ mit den Resten vom Tag. In erkenntnistheoretische Hinsicht folgt Kant Descartes: Es...
Published 06/09/06
„Glaube und Vernunft“ 3.1. Schon im Frühmittelalter werden die antiken Traumlehren christianisiert – und das heißt vor allem, daß sich im Verhältnis von Traumgesicht, Träumendem und Traumdeutung die Machtfrage verschiebt. Jenseits der Macht des Traums (oder auch der Traumkunde) erscheint die (Über)Macht einer äußeren Autorität, die den Individuen ihre Träume eingibt. Da Träume von guten oder bösen Mächten gesandt werden können, bedarf es einer weiteren Autorität, um den...
Published 05/31/06
„Antike“ 2.1. Die antike Philosophie behandelt den Traum keineswegs als Sprachrohr der Götter. Aristoteles bietet vielmehr eine physiologische, eine geradezu ‚positivistische‘ Erklärung des Traums (Nachwirbel der Wahrnehmung im Schlaf). 2.2. Der Deutbarkeit von Traumvorstellungen sind nach Aristoteles enge Grenzen gesetzt, sichere Zukunftsaussagen hält er für unmöglich. An sich jedoch gehört die Analyse der eigenen Träume zum antiken Alltag. Aus der Sicht des Traumbuchs des...
Published 05/19/06
„Zur Einführung“ 1.1. Wir fragen nach dem Traum – das heißt: wir befassen uns mit einem nur sporadisch in der Philosophie überhaupt behandelten Phänomen. Der Traum fällt auf die Rückseite, die „Nachtseite“ der europäischen Denktradition. Zudem wird gegen den Traum argumentiert: In philosophischen Texten fungiert der Traum (als Verwandter der Illusion, der Täuschung, der Trugbildes) geradezu als Gegenspieler des Denkens. 1.2. Gleichwohl hat das Thema Traum das europäische Denken...
Published 05/19/06